CYBERSTALKING | Exclusiv im Ersten

Warum Opfer nicht geschützt werden können

Seit vier Jahren wird Anna von ihrem Exmann gestalkt. Er beschimpfte und bedrohte sie, aber vor allem hat er ihren Arbeitgeber so lange mit negativen Google-Bewertungen überzogen, bis sie ihren Job verlor; und das, obwohl der Arbeitgeber wusste, dass die Bewertungen nicht echt waren.

Aber am Ende fürchtete er um sein Geschäft. Anna musste gehen. Auch Polizei und Staatsanwaltschaften können ihr kaum helfen. Zwar erwirkte sie ein Kontaktverbot, doch vor Gericht landete ihr Fall bis heute nicht. Die Polizei war bislang nicht in der Lage, den Stalker ausfindig zu machen.

Ähnlich geht es Merle. Sie wurde durch einen öffentlichen Vortrag zufällig Opfer ihres Stalkers. Erst bekam sie online „Liebesbotschaften“, später Vergewaltigungsdrohungen, weil sie die „Liebe“ nicht erwiderte.

Als es zur Anzeige kommt, schickt die Polizei die Dokumente an den Stalker weiter, ohne vorher Merles Adresse zu schwärzen. Seitdem landeten schon Hunderte Bestellungen von Onlineversandhäusern bei ihr. Auch sie erwirkte ein Kontaktverbot, sogar eine Hausdurchsuchung fand vor anderthalb Jahren beim Stalker statt. Aber Anklage konnte noch nicht erhoben werden, weil die Polizei bis heute keinen abschließenden Bericht zur Hausdurchsuchung vorgelegt hat.

Dies sind nur zwei Beispiele von Frauen, die in den letzten Jahren unter Stalking leiden mussten. Rund 84 Prozent der Betroffenen sind Frauen, 87 Prozent der Täter sind Männer. Es gibt kaum Statistiken dazu, wie viele Fälle es wirklich gibt, die Dunkelziffer ist hoch. Laut BKA kam es 2019 zu 28.653 Anzeigen wegen Stalkings. Verurteilt wurden davon am Ende weniger als zwei Prozent der Täter. Auch Beratungsstellen legen ihre Strategien eher darauf aus, den Betroffenen dabei zu helfen, mit dem Stalking zu leben, weil sie eine Ahndung in Form einer Verurteilung oftmals für unwahrscheinlich halten.

Im Gesetz gibt es zwar den sogenannten „Stalking Paragrafen“, aber er hilft bei der Strafverfolgung kaum. Die Opfer sind gezwungen, kontinuierlich Beweise gegen die Stalker zu sammeln, was sie zusätzlich hohem psychischem Druck aussetzt. Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, will deswegen jetzt den Paragrafen 238 (Nachstellung) des StGB ändern: „Es ist ganz wichtig, dass von diesem Gesetz dann eben auch ein klares Signal ausgeht, dass verfolgt wird. Und deswegen ist es wichtig, die Hürden abzusenken. Und so wird es öfter zu Verurteilungen kommen.“

Expert*innen geht dies allerdings nicht weit genug. Dr. Volkmar von Pechstaedt vertritt als Anwalt seit mehr als 20 Jahren ausschließlich Stalkingopfer. Er kritisiert nicht nur, dass die Gesetze nicht weit genug greifen, sondern auch, dass Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht genügend geschult seien. Oft würden die Stalkingfälle schnell abgehandelt oder kämen nicht zur Anklage, auch, weil Personal und somit Zeit fehlt. Manchmal habe man den Eindruck, dass „Täterschutz teilweise höher gestellt ist in Deutschland als der Opferschutz.“

Der Film zeigt, warum es so schwer ist, Stalking im Netz, aber auch im echten Leben, zu verfolgen. Und wie die Opfer dadurch gezwungen werden, mit dieser Last zu leben.

Ein Film von Simone Horst, Kira Gantner, Lisa Maria Hagen und Patrizia Schlosser